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Von Kai von Stockum, 29.10.2022 | 16:00 Uhr
Gemeinsam mit Kollegen von der Happe-Gruppe organisiert Anna Martova einen Hilfstransport für die Ostukraine.
Die humanitäre Lage in der Region Charkiw ist weiter angespannt, heißt es von den Vereinten Nationen. Rund 140 000 Menschen benötigten dringend Hilfe. Viele haben kaum Zugang zu Nahrungsmitteln, Wasser, Gas, Strom und medizinischer Versorgung. Foto: David Ryder/dpa
Rheda-Wiedenbrück (kvs) - Während einer Videokonferenz horcht der Chef von Oleksii Isaienko auf: Ob es sich bei dem das Gespräch überlagernden Warnton aus dem Hintergrund um Raketen- oder Drohnenalarm handele, möchte er wissen. „Seit wann gibt es da einen Unterschied?“, fragt der Mitarbeiter den nachdenklich gewordenen Unternehmer zurück. „Hätte mir vor einem Jahr jemand gesagt, dass wir uns heute über solche Dinge unterhalten müssen“, murmelt dieser, „ich hätte vermutlich darüber gelacht.“
Anna Martova: „Die Menschen in der Ukraine stehen vor den Trümmern ihres Lebens.“
Oleksii Isaienko lebt in einem Vorort der ukrainischen Hauptstadt Kiew und arbeitet für die Unternehmensgruppe „Golden Tile“, deren Fliesen und Keramikprodukte in der Regel ihren Weg nach ganz Europa, Asien und Nordamerika finden. Seit dem russischen Angriffskrieg jedoch ist alles anders: Die Produktionsstätte in der zweitgrößten Metropole des Landes, Charkiw, ruhte sechs Monate lang. Es ist derselbe Zeitraum, den er inzwischen getrennt ist von seiner Frau Anna und seinen beiden Töchtern, ein und fünf Jahre alt. Sie haben Schutz gefunden in Rheda. „Es ist so surreal, was dort geschieht“, sagt Anna Martova. „Die Menschen in der Ukraine stehen vor den Trümmern ihres Lebens.“ Ihnen sei alles genommen worden, was bleibe, sei Angst. Die 38-Jährige, die fließend deutsch spricht, hatte Glück: Seit langem schon ist sie Bindeglied zwischen „Golden Tile“, ihrem Arbeitgeber, und der Happe-Gruppe mit Sitz in Rheda, die einen Teil ihrer Fliesen unter anderem aus dem – bis zum Abzug der russischen Truppen – hart umkämpften Charkiw bezieht.
Monatelang hatten die Truppen Putins unter dem absurden Deckmantel der „Entnazifizierung“ die Millionenstadt mit Artillerie und Raketen beschossen, Angst und Schrecken verbreitet. Seit einigen Tagen gilt die Metropole als befreit. Wo die russische Armee angreife, bleibe kaum mehr als verbrannte Erde zurück, stellt die 38-Jährige fest. Erinnerungen werden wach an die Zeit vor der Unabhängigkeit der Ukraine. Sollte sich Wladimir Putin zum Besatzer machen, schließt Anna Martova eine Rückkehr in ihre Heimat aus.
Sammlung von Hilfsgütern
Millionen Menschen, vornehmlich Frauen und Kinder, haben sich inzwischen ins Ausland geflüchtet, andere harren weiterhin dort aus, wo sie der nahende Winter angesichts von Krieg und Vertreibung, Obdachlosigkeit, wirtschaftlichem Kollaps und Versorgungsengpässen besonders hart treffen wird. Um seinen Teil zur Linderung existenzieller Nöte zu leisten, hat „Golden Tile“-Gründer Valentin Shevetovsky unter hohem, finanziellen Einsatz eine Initiative gegründet, die Anna Martova und ihre Kollegen vom Happe-Baustoffzentrum aus Deutschland heraus unterstützen möchten. Ab dem kommenden Montag sammelt man Hilfsgüter.
Hintergrund Medienberichten zufolge hat Russland wohl in der Region Charkiw eine der schwerwiegendsten Niederlagen des bisherigen Kriegsverlaufs einstecken müssen. Die humanitäre Lage dort ist weiter angespannt, heißt es von den Vereinten Nationen, rund 140 000 Menschen benötigten dringend Hilfe. Die meisten hätten kaum Zugang zu Nahrungsmitteln, Wasser, Gas, Strom und medizinischer Versorgung, sagte ein Sprecher.
Holz ist bereits eine wichtige Währung
Holz ist schon jetzt eine wichtige Währung im Osten der Ukraine: Wer einen Ofen hat, der kann sich wärmen im bereits angebrochenen Winter. Gas und Elektrizität gibt es – wenn überhaupt – nur sporadisch. In Kooperation mit der Initiative des „Golden Tile“-Gründers, einem vertrauten Partner der Happe-Gruppe, möchte das Rhedaer Unternehmen die Not etwas lindern. Ab dem kommenden Montag werden im Lager an der Nonenstraße 11 Hilfsgüter gesammelt. Bereits im Frühjahr hatte die Gruppe erfolgreich Konvois auf den Weg gebracht. Besonders benötigt werden gut erhaltene Schlafsäcke und Isomatten, (Thermo-)Decken, Kinder- und Babynahrung, Hygieneartikel, Powerbanks, winterfeste Bekleidung, Medikamente, Desinfektionsmittel, Schongarer („Slow Cooker“), Kachelöfen, Kamine und mehr.
Ortskundige Fahrer übernehmen Transport
Eine vollständige Auflistung finden Spender auf der Unternehmensseite der Happe-Gruppe unter www.happe-gruppe.de. Gelegenheit zur Abgabe der Zuwendungen besteht am Montag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag der kommenden Woche (31. Oktober bis 4. November, jeweils von 9 bis 18 Uhr, außerdem am Samstag, 5. November, von 9 bis 15 Uhr). Den Transport übernehmen ortskundige Fahrer in Diensten der Organisation von „Golden Tile“, ebenso wie die Verteilung an die Bevölkerung sowie die Soldaten des Bataillons 92, sagen Lars Fuhrmeister und Christoph Schültken, die namentlich stellvertretend für das gesamte Happe-Team ihrer ukrainischen Kollegin Anna Martova zur Seite stehen. Der Baustoffhändler selbst steuert einen ansehnlichen Posten an Gasheizgeräten und ein Dieselaggregat bei.
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