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19.03.2023 | 18:00 Uhr
Ein mysteriöser Kühlschrank diene als Rednerpult, als am Samstag die Ausstellung "Der Junge mit der Badekappe etwas nach rechts" von Susanne Nahrath in der Stadt-Galerie eröffnet wurde.
Dr. Andrea Fink lüftete während ihrer Eröffnungsrede das Geheimnis des Kühlschranks mit 199 Tafeln Schokolade und gleich vielen Coca-Cola-Flaschen. Dierk Hartleb
Mit Mauern und Gemäuer tun sich die Stadt und ihre Bürger in Ahlen schwer. Vor die Alternative gestellt, stehen lassen oder abreißen, fällt die Entscheidung oft zugunsten der Abrissbirne aus. Im Fall des Stanz- und Emaillierwerkes Nahrath fiel die Entscheidung aber zugunsten der Erhaltung aus, wofür die Tochter des letzten Inhabers Susanne Nahrath bis heute dankbar ist. Ihren Kampf für den Erhalt in den 2000er Jahren hat die Künstlerin und Architektin in einer Wand aus 287 Plexiglassteinen mit dem Titel „Wand mit Durchblick“ sichtbar gemacht, die zumindest optisch die Ausstellung in der Stadtgalerie prägt.
Der Einladung der Kulturgesellschaft waren am Samstagabend zahlreiche Besucherinnen und Besucher gefolgt, die Geschäftsführer Christoph Wessels willkommen hieß, darunter den stellvertretenden Bürgermeister Serhat Ulusoy, den Vorstand des Kunstvereins und dessen Ehrenvorsitzenden, Walter Rinke. In seinen Dank an Klaus Eckhoff und Andrea Schwien für Organisation und Aufbau schloss Wessels auch Claudia Fischbacher als Grafikerin für die gelungene Kataloggestaltung ein.
Am Anfang ihrer Rede zur Einführung in die Präsentation von Susanne Nahrath ordnete Dr. Andrea Fink das Werk als „konzeptuell“ ein. Die Künstlerin setze sich darin immer mit Menschen und ihrer Geschichte auseinander. Neben gesellschaftlichen und historischen Themenkomplexen tauche immer wieder schlaglichtartig die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte auf, die sie mit dem allgemeinen gesellschaftlichen Diskurs verbinde. Exemplarisch steht dafür die Wand, die in ihrem Ursprung auf das Jahr 2005 zurückgeht und damals noch den Titel „sie steht“ trug. Die Porträts von Verwandten und Freunden, die die von Susanne Nahrath initiierte Unterschriftenaktion zum Erhalt des Kopfgebäude der Fabrik unterstützten, ist in der wieder aufgenommenen Arbeit aus 2023 die „Wand mit Durchblick“ und einer Bilderprojektion gewichen.
Anschließend lüftete die Kunsthistorikerin aus Herdecke, die sieben Jahre lang den Kunstverein Ahlen künstlerisch geleitet hat, das Geheimnis des Bosch-Kühlschranks, der zugleich die Funktion als Rednerpult übernahm. Auch er wird zum Gegenstand der menschlichen Kompetenz des Sich-Erinnern-Könnens und nimmt die Geste des Vaters auf, der seine Kinder beim sonntäglichen Besuch an seinem Arbeitsplatz in der Fabrik mit Schokolade und Limonade beschenkte. Die 199 Tafeln Ritter-Sport-Schokolade und genauso vielen Coca-Cola-Flaschen, alle handsigniert, fanden beim Publikum dankbare Abnahme. Mit der persönlichen Kindheitserinnerung reflektiert Susanne Nahrath zugleich die Geschichte des Wirtschaftswunders der 1950er und 1960er-Jahre in Westdeutschland, in denen ein Kühlschrank als Symbol für die Konsumgesellschaft stand wie die klassische Cola-Konturflasche und dem von vielen als Vorbild angestrebten „American style of life“.
Die Ausstellung mit dem Titel „Der Junge mit der Badekappe etwas nach rechts“, dem auch eine persönliche Kindheitsbegegnung zugrunde liegt, ist ein Stück zeitgeschichtlicher Betrachtung und Aufarbeitung mit einem kritischen Blick. Am 23. April kann man bei einem Gespräch noch mehr über die Künstlerin und ihre Kunst erfahren.
von Von Dierk Hartleb
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