Künstlerische Reise in die eigene Vergangenheit


Susanne Nahrat begegnet in ihrer neuen Ausstellung „Der Junge mit der Bademütze etwas nach rechts“ Menschen aus ihrer Vergangenheit. Und sich selbst. Für das Publikum bieten sich so spannende Einblicke in der Stadtgalerie.

Sie freuen sich auf die Eröffnung der Ausstellung am Samstagabend (v.r.): Susanne Nahrath, Renate Franke, Annemarie Woelk, Christoph Wessels und Andrea Schwien. Dierk Hartleb

„Sie steht“ lautete der Titel einer Installation, die Susanne Nahrath in der Ausstellung „Im Dialog“ 2008 in der Stadtgalerie zeigte. Das raumgreifende Objekt bestand aus Plexiglassteinen mit Fotografien wichtiger Personen, die den Kampf der Künstlerin um die Erhaltung des Fabrikgebäudes in der Industriestraße unterstützten.

In der aktuellen Ausstellung an selbem Ort, die am Samstag (18. März) um 18 Uhr eröffnet wird, hat die transparente Wand ein großes Fenster bekommen und trägt folglich den Titel „Wand mit Durchblick“. Statt der früheren analogen Papierfotos tauchen die Menschen aus dem Umfeld der in Ratingen lebenden Künstlerin jetzt mittels Beamer als Projektion auf der dahinter liegenden weißen Begrenzungswand auf. „Unser damaliger Kampf für den Erhalt war erfolgreich“, freut sich Susanne Nahrath, denn der neue Eigentümer hat nicht nur das Kopfgebäude stehen lassen, sondern auch die langgestreckte Fassade der ehemaligen Fabrikationshalle. „Viel mehr, als ich damals gehofft habe“, stellte sie beim Rundgang durch die Ausstellung fest.

Viele der über 20 Objekte, die Susanne Nahrath auf Einladung der Kulturgesellschaft präsentiert, haben mit ihr und ihrer Familie zu tun. Das gilt auch für den Titel „Der Junge mit der Bademütze etwas nach rechts“. Da ist sie auf einem Familienfoto beim Badeurlaub zu sehen und musste sich vom Strandfotografen als Junge ansprechen lassen, weil der nicht genau genug hingeschaut hatte. Dieses digital bearbeitete historische Foto vervollständigt in der Ausstellung einen Dreiklang von Neonarbeiten mit den Unterschriften der Mutter, des verstorbenen Bruders Carl-Heinz und des Vaters, der mit dem Schriftzug „Dein Papa“ verewigt ist. „Die Unterschrift ist wie ein Porträt“, sagt die Künstlerin.

Die Erinnerungskultur wird auch an anderen Objekten lebendig und intensiv. So zeigt sie einen alten Kühlschrank, der mit 199 Tafeln Schokolade und gleich vielen 199 Coca-Cola-Flaschen gefüllt ist. Mit der Arbeit, die den Titel „Kleine Kleinigkeiten“ trägt, erinnert Susanne Nahrath an sonntägliche Besuche in der Firma ihres Vaters, der seine Kinder mit Schokolade beschenkte. Die Flaschen sind wie die Schokoladentafeln der Marke Ritter Sport handsigniert. Der Bosch-Kühlschrank aus den 1960er Jahren, immer noch voll funktionstüchtig, steht sinnbildlich für das Wirtschaftswunder der 1950er und 1960 der Jahre. Mit der Verwendung der Konturflasche setzt Susanne Nahrath die bereits von Salvador Dalí in seinem Gemälde „The Poetry of America“ aus dem Jahr 1943 begründete Bildtradition fort, der vermutlich als Erster die Flasche als Symbol für die Konsumgesellschaft künstlerisch thematisiert hat.

In einem anderen Teil der Ausstellung beschäftigt sich Susanne Nahrath mit aktuellen politischen Themen. Von einer Reise nach Südafrika brachte sie eine Fotoserie aus den Townships mit, wo die von den Touristen auf den Safaris als Fotomotiv gesuchte Elefantenherde auf den Handtüchern auftaucht. Die Arbeit „The End“ zeigt einen schwarzen Bitumenblock, der die Eigenschaft hat, sich immer weiter auszudehnen und die Behälter mit Vogelfedern und das kleine Radiogerät immer mehr zur Seite drängt. Sinnbild für die bedrängte Natur.

Die Flugzeugbox mit der eingestanzten Inschrift „Peace - 24. Februar 2022“ und die auf einem Klappstuhl der US-Army aus dem Jahr 1940 präsentierten vier russischen Matroschkas bedürfen keiner weiteren Erklärung. Die zweite an der Decke abgehängten Box, die mit Reisig gefüllt ist, beinhaltet das ausgestanzte Zitat „Nur düsteren Frieden bringt uns dieser Morgen“ aus Shakespeares Liebesdrama „Romeo und Julia“. Der rote Alarmknopf ist das i-Tüpfelchen.

In einer Serie von vier große Fotowandbildern führt uns Susanne Nahrath vor Augen, wie nah beieinander die drei großen Buchreligionen Judentum, Christentum und Islam liegen und wie wenig sich ihre Vertreterinnen in ihrer Kleidung unterscheiden.

Der Wanddurchbruch taucht auch als Thema noch anderer Stelle wieder auf. Die vom Kunstverein temporär eingezogene Bücherwand bricht die Künstlerin mit einem Foto aus ihrer früheren Ausstellung an selber Stelle auf.

Bei der Vorbesichtigung nahm sich Susanne Nahrath ausgiebig Zeit und führte die Vorsitzende der Kulturgesellschaft Renate Franke, Annemarie Woelk von der Sparkasse Münsterland Ost und Kulturfachbereichsleiter Christoph Wessels durch die Ausstellung. Zur Eröffnung spricht die Kuratorin Dr. Andrea Fink.

von Von Dierk Hartleb

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