
Denn dort stand ihre kleine Schwester Nombulele Yende auf der Bühne. Südafrikanisches Stimmwunder im Doppelpack. Und das war nicht die einzige Überraschung, die der Internationale Gesangswettbewerb der Bertelsmann Stiftung parat hielt.
„Wir haben heute so schöne Musik und so tolle Sänger gehört, dass ich manchmal fast vergessen hätte, die Punkte zur Wertung aufzuschreiben“, machte Jury-Vorsitzender Dominique Meyer, Direktor der Wiener Staatsoper und designierter Intendant der Mailänder Scala, die Crux für ihn und seine hochkarätigen Mit-Juroren deutlich. Am Ende eines furiosen Final-Konzerts, das die Duisburger Philharmoniker unter Leitung ihres immer wieder von so viel Talent ganz hingerissenen und mitsingenden Dirigenten Jonathan Darlington mit einem üppigen Klangteppich unterlegten, gab es zwar je einen klaren Sieger bei den Damen und Herren. Aber weil das Niveau im 18. Wettbewerbsjahrgang noch höher als sonst und die Qualität des Stimmmaterials noch außerordentlicher als üblich war, vergab die Jury zwei zweite Plätze (je 10 000 Euro) statt eines dritten bei den Männern. Zudem wurde erstmals ein Young-Singers-Award ausgelobt. Aber der Reihe nach.

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„Einfach fantastisch“ fühlte sich Anna El-Kashem nach der Siegerehrung. Gestresst vom Wettbewerb? Von wegen. „Ich bin kein ängstlicher oder zaudernder Typ. Mein Job als Sänger ist es, zu zeigen wie schön Musik ist.“ Und das tat sie perfekt. Mit entfesselter Wildheit als Händels Kleopatra und mit berührender Zartheit als Wolkowa, Tochter des Meereszaren in Rimski-Korsakows Oper „Sadko“. Sirenengesang aus und mit russischer Seele. Schöner können Tönen kaum Wellenkreise ziehen.
Auf Platz zwei sang sich die Moldawierin Natalia Tanasii (28), die mit unter die Haut gehender Intensität in Puccinis „Sour Angelica“ das musikalische Porträt einer Verstoßenen lieferte, und mit hinreißend kultiviertem Sopran Tatjanas Briefarie aus Tschaikowskys „Eugen Onegin“ ans atemlos lauschende Publikum schickte.
Freudestrahlend lagen sich die zweitplatzierten Herren in den Armen: Der Slowene Domen Krizaj mit seinem substanzhaltigen, farbenprächtigen Bariton, den er sowohl im Bellini-Belcanto als auch in Mozarts Wundertüten-partitur entfaltete, und sein südafrikanischer Kollege Bongani Justice Kubheka. Der zündete erst ein filigranes Figaro-Feuerwerk und packte dann mit kerniger, allumfassender Stimmlage als Torero für seine angebetete „Carmen“ musikalisch den Stier bei den Hörnern. Jubel auf allen Plätzen.
Passend zu ihrem Kleid brachte die slowakische Sopranistin Slávka Zámecniková (28) in funkelndem, emotionalem Silber nicht nur eine fulminant-leidenschaftliche Donna Anna aus Mozarts „Don Giovanni“ auf die Bühne, sondern als Charpentiers „Louise“ auch Spitzentöne voll subtiler Sinnlichkeit. Mit 5000 Euro wurde ihr der dritte Platz vergoldet.
Sichtlich mehr erhofft, hatte sich die französische Sopranistin Hélène Carpentier. Aber weder ihre Pamina noch ihre Julia schienen die Jury zu überzeugen. „Manches ist eben eine Sache des Moments“, erklärte Dominique Meyer mit Blick auf all das in der Finalwoche Gehörte, das in die Endwertung mit einfließt, die Dissenz zum Publikum. Die Zuhörer hätten auch der albanischen Sopranistin Enkeleda Kamani, dem famos auftrumpfenden US-Tenor James McCorkle und vor allem der Südafrikanerin Nombulelo Yende mehr als „nur“ einen Förderpreis gewünscht. Wie Letztere, ganz in opulentes Zitronengelb gewandet, Mozart und Puccini mit ihren Stimmbändern in Samt und Seide kleidete, das war ganz großes Gefühlskino. Wie gut, das diese Frau ihren Plan A – Medizin zu studieren – aufgegeben hat. Die Welt braucht schöne, neue Stimmen wie diese. Nicht nur ihre Schwester Pretty feierte das. Erst im Saal und später bei der Party im Parkhotel.

Der markante, beifallbekundende Zungentriller aus dem Parkett war das Zeichen: Damit zeigte der eigens aus Mailand angereiste Opernstar Pretty Yende Zustimmung und Zuneigung für ihre Schwester Nombulelo. Sie hat es zwar nicht aufs Siegertreppchen bei den Neuen Stimmen geschafft. Aber mit dem Publikumspreis vom Semifinale sowie besten Empfehlungen seitens der Juroren im Gepäck, kann sie den von Liz Mohn versprochenen „Koffer an anhaltender Karrierebegleitung“ mitnehmen. Pretty Yende jedenfalls zeigte sich im Gespräch mit der „Glocke“ mächtig stolz auf ihre Schwester. Woher in ihrer Familie so viel musikalisches Talent komme? Die Eltern hätten immer gern gesungen. Die Musik ihrer Heimat gehöre seit jeher zu ihrem Leben. Die Oper habe sie aber erst mit 16 Jahren für sich entdeckt – bei einer Fluglinien-Werbung im Fernsehen. Da sei Leo Delibes Blumenduett aus „Lakmé“ gelaufen. Danach stand für sie fest: Ich werde Opernsängerin. Den Wettbewerb der Neuen Stimmen nannte Pretty Yende einen der besten der Welt – weil er junge Sänger ernst nehme und ihnen Chancen wie kein anderer biete.