Pflege-Azubi: „Wenn sich nichts ändert, kündige ich“

Von Lissi Walkusch,

Seit fast elf Wochen streiken Beschäftigte der Uniklinik Münster. Eine davon ist Rieke Wens. Die Auszubildende fordert Entlastung.

Zeigt sich enttäuscht von ihrer Ausbildung zur Pflegefachfrau: Die 21-jährige Rieke Wens streikt für bessere Arbeitsbedingungen.

Münster (lw) - Seit mehr als zehn Wochen werden die Unikliniken in Nordrhein-Westfalen bestreikt. Auch in Münster kämpfen die Mitarbeiter um bessere Bedingungen. Eine davon ist Rieke Wens. Die 21-Jährige ist gerade im zweiten Jahr ihrer Ausbildung zur Pflegefachfrau. Wenn sich nichts ändere, sagt sie, werde sie sich einen neuen Beruf suchen. 

„Normalzustand bereitet mir Sorgen“

„Entweder ich höre auf oder ich kämpfe dafür, dass sich langfristig etwas ändert“, erklärt Rieke Wens, warum sie sich dem Streik angeschlossen hat. Mehr als zwei Monate schon hat sie ihre Arbeit niedergelegt. Ob ihr das nicht leidtue für die Patienten? „Es ist der Normalzustand, der mir Sorgen bereitet“, sagt sie. Teilweise seien die Stationen durch den derzeitigen Notfallplan besser besetzt als ohne Streik, sagt sie. 

Zu dem Streik hatte die Gewerkschaft Verdi aufgerufen. Es wird der sogenannte Tarifvertrag Entlastung gefordert. Darin soll festgelegt werden, wieviel Personal zur Versorgung der Patienten sichergestellt sein muss und ein Belastungsausgleich, wenn nicht ausreichend Personal da ist. Zudem fordern die Beschäftigten mehr Zeit und Qualität für die Sicherstellung der Ausbildung in den Kliniken. Für den Teil des Tarifvertrags, der nicht über die Krankenkassen refinanziert wird, soll die Landesregierung aufkommen. 

Bessere Betreuung gefordert

„Macht die Krankenhäuser gesund“ steht auf dem Plakat eines Demonstranten. Sechs Unikliniken in NRW sind von dem Streik betroffen.Rieke Wens unterstreicht diese Forderungen im Gespräch mit der „Glocke“ mit ihren eigenen Erfahrungen. Derzeit sei vorgesehen, dass mindestens zehn Prozent der praktischen Ausbildungszeit auf die geplante Praxisanleitung zu verwenden seien. „Zehn Prozent sind erstmal viel zu wenig“, sagt sie. Aber nicht einmal die Mindestgrenze könne wegen des Personalmangels erreicht werden. Für die Ausbildung bräuchten die Nachwuchspfleger aber einen Nachweis, sodass man sich trotzdem um eine Unterschrift bemühen müsse. Zudem liege der Lehrer-Schüler-Schlüssel derzeit bei 1:30. „Wir fordern 1:15“, sagt Rieke Wens. Das könne selbstverständlich nicht sofort umgesetzt werden, solle aber perspektivisch über ein paar Jahre erreicht werden. 

Bei der Praxisanleitung solle das Verhältnis von eins zu sieben auf eins zu eins geändert werden, damit die Nachwuchskräfte die ganzen Lerninhalte bestmöglich umzusetzen lernen. „Außerdem wollen wir, dass Auszubildende nicht mehr als volle Kräfte eingesetzt werden, sondern zusätzlich“, sagt Rieke Wens. Alles in allem gehe es den Streikenden darum, Entlastung zu schaffen – nicht nur für sich, sondern auch für die Patienten.

Enttäuscht von der Ausbildung

Dass sie enttäuscht von ihrer Ausbildung ist, daraus macht Rieke Wens keinen Hehl. „Ich hatte gehofft, dass ich in den drei Jahren Zeit für die Patienten habe“, sagt die 21-Jährige. Aber ausreichend Kapazitäten, dass es den Kranken physisch und psychisch besser gehe, seien nicht da. „Die Hoffnung wurde mir genommen“, sagt sie. Als eine von wenigen Auszubildenden ist Rieke Wens im Dauerstreik. Andere Kollegen würden aus Angst um die Ausbildung zwischendurch wieder arbeiten. Die 21-Jährige sieht das gelassen. „Uns wurde von der Klinik versichert, dass wir durch den Streik keinen Nachteil erleben.“ Die Noten müsse sie aber trotzdem erbringen. 

Sie hofft wie ihre Mitstreiter, dass der Arbeitskampf bald beendet wird. Mehr als zehn Wochen Streik „gehen an die Substanz“, sagt sie. Dennoch seien alle motiviert, für den Tarifvertrag Entlastung zu kämpfen. Und was macht sie, wenn der Arbeitgeber nicht auf die Forderungen eingeht? „Dann sehe ich keine Zukunft in dem Beruf“, macht sie deutlich. „Der Tarifvertrag Entlastung ist der letzte Strohhalm.“ 

Rieke Wens verstehe zwar, dass auch die Kliniken unter Druck stünden. Man habe aber bisher kein konstruktives Angebot von den Arbeitgebern erhalten, die die Bedingungen verbessern würden. Und sollte es nicht gelingen, das Uniklinik-Personal deutlich zu entlasten, prognostiziert sie eine weitergehende Berufsflucht. „Viele werden kündigen“, ist die Auszubildende sicher. „Dann könnten wird das Gesundheitssystem in Nordrhein-Westfalen zerstören.“ Aber so weit soll es gar nicht erst kommen.

Drei Fragen an...

Anja Wengenroth, Sprecherin der Uniklinik Münster.

„Die Glocke“: Wie kann der Betrieb am Uniklinikum derzeit aufrechterhalten werden? 

Anja Wengenroth: Wir haben mit Verdi einen neue Notdienstvereinbarung getroffen, die es uns nach intensiven Verhandlungen über die Kapazitäten derzeit erlaubt, 20 Operationssäle in der Summe zu betreiben. Zum Vergleich: Vor Corona hat das UKM im Schnitt täglich zwischen 34 und 37 OP-Säle betrieben. Damit können wir tendenziell wieder etwas mehr Patienten versorgen als in den vergangenen Streik-Wochen. Trotzdem bleibt zu sagen, dass die Lage insgesamt angespannt ist und wir uns daher bestmöglich auf medizinisch dringliche Behandlungen (inkl. Notfälle), die in anderen Krankenhäusern so nicht erfolgen können, konzentrieren müssen. 

„Die Glocke“: Wie ist es um die Versorgungssicherheit der Patienten bestellt? 

Wengenroth: Die Notfallversorgung der Patienten ist in jedem Fall sichergestellt. Die Konzentration auf die unmittelbare Notfallversorgung führt allerdings in manchen Bereichen zu einer medizinisch nicht mehr akzeptablen Situation bei weniger akuten, aber dennoch für die Heilungschancen der Betroffenen wichtigen Eingriffen. Unser Ziel ist es deshalb, schnellstmöglich zu einer Einigung mit Verdi zu gelangen, um eine Schädigung von Patient*innen bestmöglich abzuwenden. 

„Die Glocke“: Spitzt sich die Lage angesichts der hohen Coronazahlen weiter zu? 

Wengenroth: Insbesondere die Personallage ist – wie beschrieben – sehr angespannt, uns steht zum einen wegen des Streiks, zum anderen aber auch wegen der Ferienzeit und nicht zuletzt wegen der hohen Infektionszahlen von SARS-CoV-2 nur sehr eingeschränkt Personal zur Verfügung. Die Infektionszahlen in der Mitarbeiterschaft verlaufen analog zu den Inzidenzen in der Bevölkerung. Glücklicherweise ist es im Moment so, dass nur vergleichsweise wenige von Covid-19 betroffene Patienten am UKM in Behandlung sind, sodass wir zwar Patienten mit einer SARS-CoV-2 Infektion auf einer Infektionskohortierstation versorgen müssen, jedoch wenigstens auf den Intensivstationen momentan keine rein coronabedingte Überlastung zu verzeichnen ist.

Texte und Fotos von die-glocke.de sind urheberrechtlich geschützt. Weiterverwendung nur mit Genehmigung der Chefredaktion.

Von Lissi Walkusch,